Einzeltraining und Workshop
Roland Walter ist von Geburt an spastisch gelähmt und arbeitet als Performer. Er experimentiert mit seinem Körper.
Viele Tänzer*innen und Performer*innen haben kaum Erfahrungen mit einem eingeschränkten Körper. Deshalb bietet der Performer Einzeltraining bzw. Workshop an. Dazu ein Feedback von zwei Teilnehmerinnen.
Fotos: Andrea Speer
Claudia Heland
Es hat mir Mut gemacht, freier zu sein in meinem eigenen Ausdruck, da Du jedem „vormachst“, in Freude man selbst zu sein und dies auch offensiv zu zeigen.
Ehrlich gesagt konnte ich das Bild, wie wir alle zusammenleben können, konsequent anwenden: Dem anderen Eigenverantwortung zusprechen anstatt vorauseilende Rücksichtnahme zu üben und konsequent auf wahrnehmender Ebene zu kommunizieren anstatt zu reden.
Ich kann mit Dir viel ausprobieren und genieße Deine Offenheit, in unmittelbaren körperlichen Kontakt und ins „bewegte Experimentieren“ zu gehen. Dabei habe ich schnell gelernt, dass ich Dich auch körperlich herausfordern darf. Dies ist ein Prozess, den ich auf gewisse Art bei jedem körperlich-tänzerischen Kennenlernen mit einem Mensch habe – austesten, was der andere zu tun und auszuhalten und zu probieren imstande ist. Doch mit einem Menschen mit spastischer Lähmung z.B. Kontakt Improvisation zu tanzen, machte mich anfangs sehr vorsichtig, weil ich es so gar nicht einschätzen konnte, was möglich ist, was Schmerzen bereiten könnte und was vielleicht auch völlig unerwünscht ist oder als verletzend auf seelischer Ebene wahrgenommen würde (Menschen, die kleiner sind als ich wollen z.B. oft nicht hoch gehoben werden, weil ihnen das dauernd passiert). Außerdem sind Körpersprache und verbale Sprache nicht konform mit dem, was wir in unserer kulturellen Prägung gelernt haben. Mein „Gesellschaftswissen“ ist nicht anwendbar, denn eine Geste sieht völlig anders aus bei einem spastisch Gelähmten und auch die Worte hören sich anders an. Beides zusammen hat für mich die wunderbare Herausforderung und den regelrechten Frieden gegeben, ausschließlich über den Körper und unseren Energiekörper kommunizieren zu dürfen, über die Augen, die nicht mimisch reden müssen, sondern einfach in der Wahrnehmung sind und über den wahrnehmenden Körper mit jeder Bewegung. Diese Art von geforderter Sensibilität für eine intensive Kommunikation schätze ich extrem, weil auch ich es genieße, nicht immer zugetextet zu werden, sondern wirklich nur in Wahrnehmung auf körperlicher und energetischer Ebene sein zu dürfen. Und weil ich gefordert bin, diese meine Fähigkeit zu erweitern. Das alles bringe ich in meine eigene Arbeit als Performerin ein, indem ich die Erfahrungen selbst anwende. Als Anleiterin zu kreativem körperlichen Ausdruck ermuntere ich die Menschen, sich viel stärker auf die wahrnehmende non-verbale Kommunikation zu verlassen, in (angst)freien kreativen Austausch zu gehen mit jedem Menschen und sich selbst mit Freude (also in Selbstliebe) zu zeigen unabhängig von gesellschaftlicher Norm.
Melanie Widmann
Schon im Vorhinein fragte er mich, ob eine Probe ohne Assistenz in Ordnung wäre. Inzwischen weiß er, wie wichtig ein ungestörter Raum für einen künstlerischen Prozess ist. Um uneingeschränkt explorieren zu können, war dies auch für mich eine logische Schlussfolgerung und ich bejahte. Wir wollten ausprobieren und uns näher kennenlernen: mit roter Fingermalfarbe, weißem Papier und einer großen durchsichtigen Plane.
Die Assistenz verließ den Raum und ich fragte Roland, ob ich ihn aus dem Rollstuhl heben kann, um ihn auf den Boden zu legen. Ich griff ihm unter die Arme, um ihm auf seine Füße zu helfen. Auf den Fußrücken kann er einen Teil seines Körpergewichtes tragen und gemeinsam konnten wir einige kleine Schritte gehen, bevor ich ihn zu Boden ließ. Zu unser beider Vorteil ist Roland ein schlanker, normal großer Mann.
Für mich war es die erste, schon direkt sehr intime, Begegnung mit einem körperlich behinderten Menschen. Trotz alledem hatte ich keinerlei Berührungsängste. Diesen unberechenbar kraftvollen und sehr steifen Körper kennenzulernen, herauszufinden, welche Bewegungen für ihn machbar sind und welche nicht und damit zu arbeiten, machten mich neugierig. In der Begegnung mit Roland durfte ich meine Vorstellungen und Werte neu sortieren. Folgende Gedanken brachte ich nach den ersten Proben zu Papier:
Dieser andersförmige, schöne, starke Körper. So viel Kraft, so viel Mühe. Was für ein Geschenk, einfach zu sein und den Kopf ausschalten zu können. Tönen, Lachen, Körper. Ich löste mich von der Vorstellung „zu tanzen“ und davon, „schöne“ Bewegungen produzieren zu müssen. Dies war anfangs ungewohnt und schwierig. Sein Körper, so wie er von Natur aus geschaffen ist, entspricht nicht dem Schönheitsideal auf Werbeplakaten und dennoch ist er schön. Weil er ist, was er ist: ein Mensch mit Herz und Verstand und viel mehr als „nur“ ein Körper. Plötzlich konnte ich spüren, wie wichtig gegenseitiges Vertrauen in einem künstlerischen Erforschungsprozess ist und ich frage mich, ob Körperarbeit den Prozess in immer mehr innere Unabhängigkeit positiv unterstützen und beeinflussen kann?
Nach den ersten Proben wusste ich: Die Arbeit mit Roland wird sowohl Herausforderungen als auch eine große Bereicherung mit sich bringen.